Im Zentrum des Weltverkehrs, aber "die Karawane zieht vorbei"
Das Gebiet, in dem dermaleinst unsere Schmalspurbahn liegen sollte, war schon frühzeitig von Menschen besiedelt - der Lössboden bot beste Voraussetzungen:
Einerseits ist er sehr fruchtbar - ideal für Ackerbau und Viehzucht, andererseits lieben Bäume keinen Löss, deshalb waren auch keine dichten Wälder zu roden.
Germanen siedelten hier, dann kamen Slawen, wiederum gefolgt von deutschen Siedlern.
Mit der Zeit entwickelte sich Handel und Wandel.
Was mit Trampelpfaden für den Austausch von Gütern zwischen den benachbarten Volksstämmen begann, wurde im Laufe der Jahrhunderte zu einem europäischen Handelsweg, der von Santiago de Compostella in Spanien bis nach Kiew, dem Zentrum des Kiewer Rus führte.
Diese Ost-West-Verbindung kannte viele Wegvarianten, eine folgte fast dem Verlauf unserer viele Jahrhunderte später entstandenen Schmalspurbahn:
Von Oschatz über Wermsdorf, dann nördlich des (noch nicht existierenden) Horstsees in Richtung Trebsen, wo unweit des späteren Bahnhofs Neichen der Fluss Mulde überquert wurde.
Im 14. Jahrhundert wurde dem Wege-Chaos "von ganz oben" ein Ende bereitet:
Die Markgrafen von Meißen schlossen mit den benachbarten Landesherren Verträge, die festlegten, den Verkehr aus Polen und Schlesien über Oschatz auf drei Alternativrouten weiter nach Leipzig zu leiten.
So konnte je nach Hochwassersituation die Mulde, die seit alters her als unberechenbar und gefährlich galt, bei Eilenburg, Wurzen oder Grimma überquert werden.
Die südliche Route entsprach wiederum nahezu der Hauptverkehrsrichtung der künftigen Schmalspurbahn über Wermsdorf und Mutzschen.
Anlässlich des Bahnhofs- und Steinbruchsfestes 2009 machte auch eine Postkutsche in Glossen Station.
Der lokalen Bevölkerung brachte der rege Verkehr natürlich kaum etwas, die alten Straßen verliefen entfernt der Siedlungen auf den Höhenzügen und mieden die sumpfigen Flusstäler.
Daher hieß die Ost-West-Verbindung auch "Hohe Straße", in einigen alten Urkunden wurde sie auch "Via Regia", die Königsstraße genannt.
Ihren Nutzen hatten aber die Städte, so wurde Oschatz urkundlich das Recht zugesprochen, von jedem Wagen einen Wegezoll zu erheben,
in dem Maße, als die von Leipzig und die von Torgau nehmen.
Noch eine Epoche im Straßenverkehr unseres Gebietes vor dem Eisenbahnbau wäre zu vermelden:
Als 1724 Schloss Hubertusburg bei Wermsdorf soweit hergestellt war, dass es vom Kronprinzen bewohnt werden konnte, ließ August der Starke eine neue Poststraße anlegen.
Sie zweigte westlich Meißens von der Route der Via Regia ab und verlief über Stauchitz nördlich Mügelns nach Wermsdorf, von da schnurgerade nach Sachsendorf, weiter nach Kühren und dann entlang der alten Via Regia nach Wurzen und Leipzig.
Für kurze Zeit lag also Wermsdorf an der "Leipzig – Dresdner Hauptstraße".
Aber diese Epoche währte nicht lang: Bereits 1816 wurde die Poststation in Wermsdorf wieder aufgehoben und nach Luppa verlegt.
Von nun an bestand Wermsdorfs Verbindung mit der Außenwelt nur noch aus einer Fußbotenpost, die einmal am Tag die Strecke Wermsdorf – Luppa und zurück lief.
Doch auch die Via Regia versank in der Bedeutungslosigkeit: Mit Wien, Berlin oder Petersburg waren neue Hauptstädte entstanden, die abseits des alten Handelsweges lagen.
Und vor allem sollte es Konkurrenz geben: Bald durchzogen die ersten Eisenbahnlinien das Land.
Die Leipzig – Dresdner Eisenbahn
Streckenskizze der Linienvariante nach Kammerrat von Schlieben über Meißen; die Trasse verläuft in nur zwei bis drei Kilometern Entfernung von den Zentren der Orte Wermsdorf und Mügeln.
Neumann, Ludwig, Ehrhardt, Paul:
Erinnerungen an den Bau und die ersten Betriebsjahre der Leipzig-Dresdner Eisenbahn.
In: Der Civilingenieur. XXXV. Band, Heft 2/1889; S. 8.
Die Leipzig-Dresdner Eisenbahn als erste deutsche Ferneisenbahn leitete die Verwirklichung des Planes von Friedrich List eines deutschen Eisenbahnnetzes ein.
Für deren Bau waren vier Trassenvarianten diskutiert worden, die im Grunde genommen dem Verlauf der alten Handelsstraßen folgten.
In die nähere Diskussion gelangten aber nur die Varianten des Oberlandfeldmessers Kammerrat von Schlieben und die des Wasserbaudirektors Hauptmann Carl Theodor Kunz.
Von Schliebens Variante war diejenige, die Friedrich Lists Plänen entsprach, es war die kürzeste Verbindung und sie führte unmittelbar an Wermsdorf und Mügeln vorbei.
Sie wurde den Ministerien zur Nivellierung empfohlen.
Kunz schlug dagegen einen rechtselbischen Verlauf mit Überquerung des Stromes bei Strehla vor.
Auch diese Variante wurde vermessen.
Um das endgültige Urteil über die Wahl der besten Variante zu fällen, hatte man den englischen Ingenieur James Walker als Gutachter gewonnen.
Am 13. Oktober 1835 traf er in Leipzig ein und beging in Begleitung sächsische Ingenieure beide Linienvarianten. Sein Urteil lautete:
Wolle man den Trakt über Meissen bauen, … so sei bis jetzt dem nichts Gleiches im Eisenbahnfache gemacht worden;
nicht allein sei der Bau der Eigenthümlichkeit des Terrains wegen sehr, sehr schwer, sondern es würden auch auf einer Strecke von beinahe vier deutschen Meilen sehr viele Häuser entweder berührt oder die Linie laufe doch in grosser Nähe von Häusern und Gärten vorbei und über anderen sehr werthvollen Grund und Boden, was nicht nur die Kosten der Expropriation sehr hoch steigern würde, sondern dieselbe auch sehr aufhältlich machen und unter vielen Bewohnern, die betroffen würden, unendlich viel Unwillen erregen müsste.
Neumann, Ludwig, Ehrhardt, Paul:
Erinnerungen an den Bau und die ersten Betriebsjahre der Leipzig-Dresdner Eisenbahn.
In: Der Civilingenieur. XXXV. Band, Heft 2/1889; S. 9.
Friedrich List
(Quelle: Wikimedia.)
James Walker.
(Quelle: Wikimedia.)
Walker favorisierte also die Variante des Wasserbaudirektors Kunz, verlegte aber den Elbübergang von Strehla nach Gröba bei Riesa.
Von den Verantwortlichen wurde Walker völlig widerspruchslos erhört und die Linie über Riesa erbaut.
Damit hatte man die Linienvariante gewählt, die sich zwar leichter realisieren ließ, dafür aber buchstäblich den volkswirtschaftlichen Bedarf umkurvte:
Die Regionen Sachsens, die eigentlich die Wirtschaftskraft des Landes darstellten, lagen weit abseits der Trasse.
Einzige Ausnahme war Riesa: Es entwickelte sich von einer Landgemeinde zur Industriestadt.
Noch 90 Jahre später wetterten die Historiker:
Man bot ihm (List) … eine Ehrengabe im Betrage von 2000 Talern, ohne an eine Entschädigung seiner Auslagen zu denken, während man dem englischen Ingenieur James Walker, den man ganz unnötigerweise aus England hatte kommen lassen, und der auch den falschen Rat gab, die Bahn über Riesa zu führen, statt wie List gewollt hatte, über das volkreiche Meißen, mehr als 17 000 Mark an Reiseentschädigung zahlte.
Stieda, Wilhelm:
Friedrich List. In: Berichte über die Verhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig;
Philologisch-historische Klasse; 80. Band. 1928. 1. Heft; S 39.
Walker war zwar Wasserbaudirektor der Themse und Inspektor der Festungsbauwerke von Dover, ob er aber einer der erfahrensten Eisenbahntechniker war, wie damals dargestellt wurde?
Gut, er hatte die Leeds-Selby-Bahn gebaut, die war aber nur wenige Kilometer länger als unsere spätere Schmalspurbahn Mügeln – Neichen und mit der Unternehmung einer 120 km langen Leipzig - Dresdner Bahn überhaupt nicht zu vergleichen.
Interessant auch, das sich Wasserbaudirektor Kunz nur sechs Jahre später zutraute, eine Eisenbahn von Leipzig quer durchs Vogtland nach Hof zu bauen, auf der unter anderem die bis heute größte Ziegelsteinbrücke der Welt errichtet werden musste.
Die Leipzig - Dresdner Eisenbahn war da gerade erst zwei Jahre in Betrieb.
Mangel an Können oder Risikobereitschaft der sächsischen Ingenieure kann also nicht ausschlaggebend gewesen sein.
Der Grund war sicher folgender. Während Friedrich List Nationalökonom war und die Interessen der Volkswirtschaft des Landes vertrat, standen die Herren des Direktoriums der Leipzig - Dresdner Eisenbahn einem privatwirtschaftlichen Unternehmen vor, das bald und vor allem sicher Gewinne abwerfen sollte.
Unnötige Risiken mussten sie vermeiden und den Weg des geringsten Widerstandes gehen.
Da man aber in Sachsen wegen der dichten Besiedlung und des bergigen Charakters auf dieser Basis keine Eisenbahnhen bauen und auf Dauer hochprofitabel betreiben konnte, wurde Sachsen das Land der Staatsbahnen.
Und weil obendrein viele Landstriche, die einer Eisenbahn bedurften, solche waren, wo die Linien in grosser Nähe von Häusern und Gärten vorbei führen mussten, wie es Walker formulierte, wurde es zudem das Land der staatseigenen Schmalspurbahnen.
Die Schmalspurbahn Oschatz – Döbeln und der Plan einer "Flügelbahn" nach Wermsdorf
Die Beantwortung der Frage, wie es zum Bahnbau um Mügeln kam, überlassen wir einfach denen, die es wissen müssen: Den Herren "Oberfinanzrath" Ledig und "Rechnungsrath" Ulbricht vom Königlich Sächsischen Finanzministerium, dem in Sachsen die Staatseisenbahnen unterstellt waren:
Die Herstellung einer Eisenbahn, welche die von den Eisenbahnlinien Döbeln – Riesa – Wurzen – Grossbothen – Döbeln umschlossenen Landestheile von Döbeln aus ungefähr in diagonaler Richtung durchschneiden sollte, war von der betheiligten Bevölkerung bereits seit Langem angestrebt worden.
Ursprünglich war es hauptsächlich auf eine direkte Verbindung zwischen Döbeln und Torgau abgesehen, weshalb von vielen Seiten der Anschluss der Linie an die Leipzig-Dresdener Bahn bei Dahlen befürwortet ward.
Hierbei hätte indess das Bedürfniss des lokalen Verkehrs insofern zurücktreten müssen, als eine Bahn mit voller Spurweite nach den angestellten technischen Untersuchungen den vorhandenen Thalsenkungen mit ihren zahlreichen Ortschaften nicht hätte folgen können, sondern in Ausführung umfänglicher und kostspieliger Kunstbauten vorzugsweise auf dem Höhenzuge hin und in ziemlicher Entfernung von den bedeutenderen Ortschaften zu liegen gekommen wäre.
Dieser Umstand sowie die Absicht, der reichen landwirthschaftlichen Pflege des Mügelner Kreises die Vortheile einer reinen Lokalverbindung zu verschaffen, bestimmte die Staatsregierung dazu, sich für Anlegung einer schmalspurigen Bahn und zwar zunächst von Döbeln über Mügeln nach Oschatz zu entscheiden.
Ledig, Gustav Walther; Ulbricht, Johann Ferdinand:
Die schmalspurigen Staatseisenbahnen im Königreiche Sachsen.
Zweite vermehrte und verbesserte Auflage. Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann, 1895; S. 73 f.
Der Bau der Schmalspurbahn Oschatz – Döbeln begann im Oktober 1883. Sie wurde in drei Etappen eröffnet:
15. September 1884 |
Teilstrecke Mügel – Großbauchlitz (das spätere Döbeln Nord) |
provisorischer Rübenverkehr |
01. November 1884 |
Teilstrecke Mügeln – Döbeln Hauptbahnhof |
Güter- und Personenverkehr |
07. Januar 1885 |
Teilstrecke Oschatz – Mügeln |
Güter- und Personenverkehr |
Der erste Gleisplan des Bahnhofs Mügeln von 1885:
Er enthält - gestrichelt eingezeichnet - bereits den zukünftigen Streckenverlauf in Richtung Wermsdorf, obwohl der Bau damals noch nicht beschlossen war.
Köpcke, Claus; Pressler, Paul:
Die neuesten Schmalspurbahnen in Sachsen.
In: Der Civilingenieur. Heft 8/1885; Tafel XXXIV.
Dann war endlich die Zeit gekommen, dass auch die Region um Wermsdorf und Mutzschen ans Bahnnetz angeschlossen wurde.
Lesen wir weiter:
Obschon der Bau einer schmalspurigen Flügelbahn von Mügeln nach Wermsdorf gleichzeitig mit der Herstellung der Linie Döbeln – Mügeln – Oschatz beabsichtigt war, so musste von der Ausführung desselben vorläufig abgesehen werden, weil namentlich die Ansichten über die Frage, in welcher Weise der später beabsichtigte Anschluss von Wermsdorf nach Mutzschen und weiter an das bestehende Bahnnetz am zweckmässigsten herzustellen sein werde, noch nicht hinreichend geklärt und zur Entscheidung derselben noch sehr eingehende Erörterungen nöthig waren.
Bei der Wahl des geeignetsten Anschlusspunktes musste namentlich auf die verschiedenartigsten Interessen der in Betracht kommenden Städte Mutzschen, Grimma und der Landgemeinde Wermsdorf sowie der Landesanstalt Hubertusburg Rücksicht genommen werden.
Ledig, Gustav Walther; Ulbricht, Johann Ferdinand:
Die schmalspurigen Staatseisenbahnen im Königreiche Sachsen.
Zweite vermehrte und verbesserte Auflage. Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann, 1895; S. 74.
Und schließlich - Ende gut, alles gut - anlässlich der Feier der achthundertjährigen Herrschaft des Hauses Wettin in den sächsischen Landen konnte man vermelden:
Das Ergebniß der hiernach weiter angestellten Erörterungen war das Project einer Schmalspurbahn Mügeln – Wermsdorf – Nerchau-Trebsen zum Anschluß an die normalspurige Linie Großbothen – Wurzen, wobei die direkte Leitung des Personenverkehrs nach und von Wurzen durch Einlegung einer dritten Schiene in die Hauptbahn zwischen Nerchau-Trebsen und Wurzen in Aussicht genommen war.
Der Bau der Linie wurde von der Königlichen Staatsregierung der Ständeversammlung 1885/86 in dieser Gestalt vorgeschlagen und von derselben genehmigt.
Bei der im November 1887 begonnenen Bauausführung wurde jedoch von der vorerwähnten Einlegung einer dritten Schiene und damit von der direkten Leitung des Personenverkehres nach und von Wurzen abgesehen.
Der Betrieb auf der Linie wurde am 1. November 1888 eröffnet, nachdem auf der Theilstrecke Mügeln – Mahlis bereits vom 27. September 1888 ab die provisorische Beförderung von Rüben eingerichtet worden war.
Ulbricht, Johann Ferdinand:
Geschichte der Königlich Sächsischen Staatseisenbahnen.
Dresden, Generaldirektion der Staatseisenbahnen, 1889; S. 71.
Man höre und staune: Obwohl nur Spaten und Schaufel zum Einatz kamen, waren 24 km Eisenbahn in nur einem Jahr erbaut!
(Siehe auch die Seite zum Bahnbau.)
Diese Karte zeigt sehr schön das Geviert der Normalspurbahnen (von oben links) Wurzen – Riesa – Döbeln – Großbothen – Wurzen,
in dessen Mitte die drei größeren Orte Mutzschen, Wermsdorf und Mügeln liegen, die von der Schmalspurbahn erschlossen werden.
Zu sehen ist auch wie die Leipzig - Dresdner Eisenbahn (oben) durch dünn besiedeltes Terrain verläuft.
May, K; Dr. Tittel:
Das Oschatzer Hügel und Tieflandsgebiet zwischen Mulde und Elbe.
Meißen, Verlag von H. W. Schlimpert, 1905; Kartenbeilage (Ausschnitt).
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